Bahá’í World/Volume 6/Zwei Heilige Grabstätten, by Dr. Adelbert Mühlschlegel
ZWEI HEILIGE GRABSTÄTTEN
BY DR. ADELBERT MÜHLSCHLEGEL
MITTEN in Jerusalem, der vielbesungenen Stadt der Christenheit, ragt die Heilige Grabkirche, ein uralter, ehrwürdiger Bau.
Trittst du in sie ein, so umfängt dich in hoher Kuppelwölbung ein weihrauchgetränktes, mystisches Dunkel, worinnen Gold und geweihte Lampen funkeln. In der Mitte dieser Halle siehst du einen steinernen Bau, unter welchem Christi Leib begraben sein soll. Ein schmaler Zugang führt in das Innere an einen Stein, der das Ziel frommer Anbetung ist. Viele gläubige Christen zwängen sich zu ihm hinein, um dort einige Augenblicke in Andacht zu verweilen. Seitlich von der Mittelhalle aber zweigen einige kleinere Kirchenschiffe ab, für jede christliche Konfession ein anderes. Sonntags halten sie oft gleichzeitig Gottesdienst. Da kannst du dann hören, wie sich Worte und Töne vermengen und stören, Worte, die einstens verkündet wurden, um die Menschen zu verbrüdern, um ihnen den Frieden auf Erden zu bringen. An der Türe aber stehen muhammedanische Polizisten, um dafür zu sorgen, dass Ordnung herrscht und dass sich die verschiedenen Konfessionen nicht streiten oder gar verprügeln, wie es auch schon vorgekommen sein soll. Und wendest du dann diesem alten Andachtsraum den Rücken und trittst du, geblendet von der grellen Sonne, hinaus in die lärmende Stadt, so gerätst du zunächst in eine Schar von Händlern, die dort vor der Kirche ihre Buden aufgeschlagen haben und der religiöse Artikel aufdrängen wollen.
Den gläubigen Christen müssen diese Gegensätze erschüttern und zu tieferem Nachdenken zwingen. Ist dies alles nicht wie ein grosses Sinnbild der religiösen Lage nicht nur des Christentums, sondern aller Religionen auf der Welt? In dem festen, ehrwürdigen Bau der alten Traditionen begraben, in das Dunkel rätselvoller Mystik gehüllt, geschmückt mit dem Golde menschlicher Zutaten, ruht das Lebendige, der Offenbarungsort des Wortes, unter der Erde vergraben. Die Menschen streiten sich um den Zugang zu ihm. Und, weil sie sich streiten, entfernen sie sich der Wahrheit immer mehr, brauchen sie Teilkirchen und Kirchenteile für ihre Teilwahrheiten. Die Religion, anstatt ein lebendiger, ungetrübter Quell der Kraft und Weisheit für den Staat in seinen Fragen und Nöten zu sein, bedarf im Gegenteil der Hilfe seines Armes, ja seiner Waffengewalt, um ihre Würde und Ordnung zu behaupten. Das Ewige, Persönlichste aber wird in vermenschlichter Aufmachung als käufliche Ware auf der Strasse verkitscht und verschachert.
Wo ist da ein Lichtblick, we ein Weg empor? Bedarf es da nicht, um solche Zustände auf der ganzen Welt zu heilen, eines Mannes, der nicht nur irgendwo im Endlichen den Hebel ansetzt, etwa an einer alten Religion reformiert, oder Von einer Nation ausgeht, sondern der eine unbedingte und unbeschränkte göttliche Vollmacht besitzt, kurz, der ein Gottgesandter ist? Der, weil er ein Gottgesandter ist, und Gott nur Einer und die Wahrheit nur Eine sein können, auch den früheren Gottgesandten und Wahrheitsverkündern nicht widerspricht, sondern sie bestätigt und erfüllt. Der aber eben deshalb klar das kirchliche Beiwerk, das die Menschen in Religionen, Konfessionen und Sekten aufgespalten hat und darin erstarren liess, von der ewigen, zeitlosen Wahrheit scheidet, und eine neue, unverfälschte Offenbarung niederlegt, die zur ganzen Menschheit spricht und die ganze Menschheit einigt?
Wir Bahá’í wissen, dass ein solcher Gottgesandter
unlängst schon über diese Erde gegangen ist und
diese welthistorische Sendung
vollbracht hat. Wir wissen auch, wo Bahá’u’lláh
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Seine irdische Bahn beschlossen hat
und wo Seine irdische Hülle zur Ruhe
gebettet ist:
Bahjí—ein köstliches Stück Erde. Fernab vom Geschrei und Gefeilsche der Stadt, fernab von den Blicken der Neugierigen ragt aus dem grünen Saum herrlicher Gärten der edel Bau, einfach und doch achtunggebietend wie ein Herrschersitz, festgefügt und doch zierlich im Kranze seiner Saulenreihe, unsagbar ruhig zwischen Himmel und Erde und doch erfüllt und durchpulst Von einer Kraft, die mächtiger ist als Zeit und Raum. Wenn wir uns diesem Heiligturn nähern, erfasst von der Weihe der Stunde, die Sehnsucht nach geistiger Begegnung im Herzen und nicht abgelenkt durch die duftenden Arme der erdentwachsenen Zweige und Blüten des Gartens, gelangen wir nächst dem Palaste zu dem Mausoleum. Wir lassen unsere Schuhe vor dieser Stätte und mit ihnen alles, was uns seither mit der Erde verband, was vom Staube noch an uns haftet. Die Gärtner reichen uns Rosenwasser. So treten wir un den lichten, hochgewölbten Raum. Urn duftende Blumen und Ziersträucher, die hier aus der Erde spriessen, sind kostbare Teppiche gelegt. Hinter der geweihten Schwelle ist der letzte heiligste ort, unter welchem der Körper Bahá’u’lláh’s ruht.
Der Geist, der diesen Raum durchdringt, ist unbeschreiblich machtvoll. Kein Pilger kann sich ihm verschliessen und seine suchende Seele kann sich an dieser Stätte zu einem Grade der Loslösung aufschwingen, wie er sie anderswo nicht so leicht erreicht. Die Welt mit ihren Nichtigkeiten versinkt dort draussen weit vor der Türe. Das Herz in der Brust aber, “die Schatzkammer des Freundes,” öffnet sich jubelnd, um den hier waltenden Geist in sich aufzunehmen, mit dem die Seele, hier allein und frei, innerste erschütternde Zwiesprache hält.
Als ein Neuer trittst du dann wieder in die Welt hinaus, geklärt, gestärkt, und tatenfroh.
Mr. and Mrs. Tokujiro Torii, Kyoto, Japan, July 14, 1935.
Mr. and Mrs. Tokujiro Torii and Miss Agnes Alexander.